Nikolaus Groß hat für den Ruhrgebietskatholizismus eine besondere Bedeutung, da er als sein Repräsentant gelten kann. Daher wurde der Seligsprechungsprozess auch im Bistum Essen durchgeführt. Als Arbeiter und Bergmann spiegelt Nikolaus Groß das typische Milieu, denn der Katholizismus im Ruhrgebiet war mehrheitlich von der Arbeiterschaft geprägt - über 70% - bei 54% der männlichen Reichsbevölkerung.
Nikolaus Groß besuchte die katholische Volksschule, wurde Jungarbeiter, machte dann eine Lehre als Hauer und arbeitete bis 1920 als Bergmann. In der Zeit verankerte er sich in den Säulen des sozialen Katholizismus: Christliche Gewerkschaften, Zentrum, KAB, was sein frühes gesellschaftliches Interesse zeigt. Darüber gelang ihm - quasi 2. Bildungsweg, der soziale Aufstieg. Er war motiviert durch die gesellschaftspolitische Wachheit und das Engagement für "seine Sache". Sie waren der rote Faden seines Lebens: die Interessen der Arbeiterschaft und sein christlicher Glaube, den er als Auftrag zur Weltgestaltung verstand i.S. der Christlichen Gesellschaftslehre.
Von 1920 bis 1927 arbeitete er hauptamtlich bei den Christlichen Gewerkschaften in verschiedenen Positionen und Orten - im Ruhrgebiet und im Osten.
Ab 1927 Hauptschriftleiter war er bei der Verbandszeitung der westdeutschen KAB und damit bis zu seinem Tod in ihrer Verbandsleitung.
Die 2 Konstanten prägten seine Arbeit als Journalist in schwieriger Zeit: Während des Aufstiegs und des Sieges der NSDAP. In der NS-Aufstiegszeit zeigten sich die Konstanten deutlich, da ein freies Wort noch möglich war. Er schrieb in der KAB-Wochenzeitung, der Westdeutschen Arbeiterzeitung (WAZ), den politischen Leitartikel.
Seine Vertretung der Arbeiterinteressen manifestierte sich im Misstrauen gegen die DNVP (deutschnationale Volkspartei) als sozialreaktionär und im Unglauben an das "Sozialistische" der NSDAP, das er als Täuschungsmanöver ansah. "Der Nationalsozialismus will die Arbeiterschaft für seine politischen Ideen gewinnen, um sie vom Wirtschaftlichen abzubringen. Das gibt dann eine hübsche Machtverteilung: die Nationalsozialisten herrschen in der Politik, die Unternehmer in der Wirtschaft. Der Arbeiter ist beider Packesel", schrieb er am 6.2.1932 in der WAZ. Und am 30.1.1932 hatte er bemerkt: "Wenn sich heute die reaktionärsten Arbeitgeber... an den Nationalsozialismus heranhängen, und wenn die Nationalsozialisten zugleich dem Arbeiter alle möglichen Lohn- und Tarifversprechungen machen, dann liegt darin ein großer Widerspruch.... Für nichts und wieder nichts unterstützen diese Unternehmenskreise den Nationalsozialismus nicht"
Seinen Einsatz für die Arbeiterinteressen realisierte er durch Unterstützung der Regierung Brüning und des Zentrums. Die Arbeiterparteien waren ihm keine Alternative, dafür waren die weltanschaulichen Barrieren - auf allen Seiten - noch zu hoch.
Damit ist der 2. rote Faden angesprochen: seine Religiosität: Der christliche Leitfaden zog sich durch die Beurteilung aller Politikfelder, zu denen er Stellung nahm, besonders deutlich beim Nationalsozialismus Daher soll er daran verdeutlicht werden.
Früher als die Bischöfe warnte er in der WAZ am 6.9.1930 mit dem Artikel "Klare Fronten" vor dem Nationalsozialismus "Wir lehnen als katholische Arbeiter den Nationalsozialismus nicht nur aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, sondern entscheidend auch aus unserer religiösen und kulturellen Haltung entschieden und eindeutig ab". In diesem Artikel spiegelt sich wie im Brennglas das gesamte Motivpaket der Gründe seiner NS-Gegnerschaft, die er ausgefaltet zu den unterschiedlichsten Anlässen immer wieder modifizierte. Es waren: religiös als antichristlich: "Dann wird alle religiöse Lehre... , die sich nicht der politischen Meinung des Nationalsozialismus beugt, genau solche Unterdrückung erfahren wie im bolschewistischen Rußland oder unter der Herrschaft der freidenkerischen Sozialdemokratie", politisch - als kriegstreibend und diktatorisch, wirtschaftlich als arbeiterfeindlich.
Außer dem katholischen Beurteilungsmaßstab zeigt sich noch etwas Anderes: Nikolaus Groß war überzeugter Demokrat, da er in der Demokratie einen Weg sah, die Interessen der Arbeiter im Staat zur Geltung zu bringen. So schrieb er am 21.4.1928 in der WAZ im Artikel "Der Auftakt zum Wahlkampf": "Der Aufbau eines äußerlich freien und innerlich freiheitlichen Staatswesens ist nur auf dem Boden des heutigen Volksstaates möglich".
Ab dem 30. Januar 1933 - der 2. Phase seiner Redaktionstätigkeit - war ein offenes Wort in der Presse immer weniger möglich. Das NS-Presserecht schränkte die Arbeitsmöglichkeiten zunehmend ein und schon im März 1933 erhielt sie den ersten Warnschuss durch ein befristetes 3-wöchiges Verbot. Daraufhin wechselte Nikolaus Groß zum Zwischen-den-Zeilen-Schreiben und dem Andeutungen von Kritik durch Analogien.
Bis 1938 folgten 5 Beanstandungen, bevor 2 Verbote der KW endgültig das Aus bescherten. Das erste hatte seine Ursache in einem unausgesprochenen Vergleich von kommunistischer und nationalsozialistischer Ideologie: "Nicht von jeder Weltanschauung könne mit gleichem Recht gesagt werden, dass das Leben der Menschheit bis ins Letzte menschenwürdig und sinnvoll sei, wenn sich alle Menschen nach ihr richten würden".
Die berufliche Tätigkeit verschuf Nikolaus Groß die Ausgangsmöglichkeit seiner Aktivitäten. Seine Basis war der sog. Kölner Kreis, ein Zusammenschluss von Personen aus dem Rheinland, Westfalen und dem Ruhrgebiet. Es handelt sich um KAB-Vertreter, ehemalige Zentrumspolitiker, Christliche Gewerkschafter und andere Katholiken, aber auch zunehmend um protestantische Konservative und Sozialdemokraten, so dass die Milieugrenzen überschritten wurden. Der Kreis entwickelte sich langsam ab 1933/34 und hatte "Ableger" in verschiedenen Städten. In Düsseldorf z.B. nahm er früh Kontakt zum politisch-militärischen Widerstand auf. Insgesamt kann man sagen, dass er von einem Diskussionszirkel über die Lage der Kirche und der allgemein politischen Lage ausging und sich allmählich politisierte.
Nikolaus Groß trug selbst wesentlich zur Verbreiterung seiner Basis bzw. seiner Kontakte bei, als er 1942 in Fulda die Verbindung zum Jesuitenpater Alfred Delp vom Kreisauer Kreis schuf. Damit entstand eine Klammer zwischen Kölner und Kreisauer Kreis, die im Gedankenaustausch und gegenseitigen Besuchen von Delp in Köln und Groß in seiner Pfarrei bei München mündeten.
Wichtiger wurde aber der Kontakt zur Berliner Goerdeler-Gruppe, der ebenfalls 1942 sich entwickelte. Der ehemalige Leipziger Carl Goerdeler (früher DNVP) war als künftiger Reichskanzler vorgesehen. Er hatte einen Kreis von ursprünglich Konservativen um sich gesammelt, um Hitler zu stürzen, und diesen Kreis allmählich nach "links", in die sozialdemokratische und katholische Arbeiterschaft erweitert. Über seinen Freund Bernhard Letterhaus geriet Groß 1942, nur wenig später als zu Delp, in den Bannkreis der Berliner Gruppe. Letterhaus, Verbandssekretär der Westdeutschen KAB seit 1927 und ehemaliges Mitglied der preußischen Zentrumsfraktion, war als Hauptmann zur Abwehr ins Oberkommando der Wehrmacht nach Berlin versetzt worden. Über Letterhaus und Kaiser gelang es, die Berliner mit der Kölner Gruppe zu vernetzen. So konnte der aktive Berliner Widerstand im Westen - dank der KAB und ehemaligen christlichen Gewerkschaftern - ein Netz an Vertrauenspersonen aufbauen. Der Kontakt war so intensiv, dass der als Reichsverweser vorgesehene Generaloberst a.D. Ludwig Beck 1943 bei Präses Dr. Otto Müller vorsprach: "Es könnte mal etwas eintreten, dass wir in vielen Orten Menschen brauchten, auf die wir uns verlassen können, die die Leitung der Gemeinde in ihre Hand nehmen und die richtigen Leute für die Verwaltung sowie für Ruhe und Ordnung aussuchen können. Wir müssen natürlich für diesen Fall vorbereitet sein. Ich kann also in einem solchen Fall auf Sie und Ihre Organisation zurückgreifen." Das Zitat weist auf das Ausmaß der Integration der Verbandsführung der KAB in den politischen Widerstand gegen Hitler hin. Daran hatte Nikolaus Groß als Kurier, Werber, Protokollant und Organisator von Treffen einen bedeutenden Anteil.
Über den Kölner Kreis beteiligte sich Groß an den Überlegungen zur Neugestaltung Deutschlands. Der Kölner Kreis vertrat dabei Vorstellungen, die, stärker als die der Berliner und Kreisauer, einen demokratischen Parteienstaat anstrebten. An dieser Zielformulierung war auch Groß beteiligt, denn er verfasste gemeinsam mit dem früheren Zentrumspolitiker und Krefelder Polizeipräsidenten Wilhelm Elfes, seinem Vorgänger bei der WAZ, die beiden Schriften "Ist Deutschland verloren?" und "Die großen Aufgaben", wie er in den Verhören durch die Gestapo zu Protokoll gab.
Die Bedeutung von Groß für den Kölner Kreis lag hauptsächlich in der Koordination der Treffen. Seine Aufgabe war, die Teilnehmer zusammenzurufen oder auch abzusagen, falls es zu gefährlich war. Im Auftrag von J. Kaiser und Goerdeler warb er den Zentrumspolitiker Bartholomäus Koßmann (Saarbrücken) als Politischen Beauftragten für den Wehrkreis III (Saargebiet). Er war also nicht nur an der konzeptionellen Planung für die Zeit nach Hitler, sondern auch an der Schaffung der praktischen Voraussetzungen beteiligt, denn er wirkte mit, das politische Personal zu finden, das die Verschwörer brauchten, wenn sie nach der Beseitigung Hitlers ein rechtsstaatliches Deutschland wiedererrichten wollten. Er warb Laurentius Siemer vom Dominikanerkloster Walberberg als Diskussionspartner Außerdem leistete Groß dem zivilen Widerstand wichtige Dienste als Kurier. Im Herbst 1943 war Groß beim Besuch Goerdelers im Kettelerhaus zugegen, als entsprechende personelle Fragen beraten wurden. Er war auch bereit, sich der Umsturzregierung durch Übernahme eines Amtes zur Verfügung zu stellen. In der fragmentarisch überlieferten Anklage des Oberreichsanwaltes hieß es: "Darüber hinaus hat Groß sich bereiterklärt, in diesem Verratsunternehmen mitzutun und die Rolle...".
Nach dem gescheiterten Attentat rollte die Gestapo das Netz der Verschwörer auf. Am 12.8.1944 wurde Nikolaus Groß in seiner Wohnung in Köln verhaftet.
Das Handeln von Nikolaus Groß ist ohne einen Blick auf das Motiv für seine Widerstandstätigkeit, soweit sie sich aus den Quellen erschließt, nicht zu verstehen.
Am 19. Juli 1944 in Fulda bei der Tagung zur Männerseelsorge sagte er zu seinem Freund Caspar Schulte, dem Diözesanpräses der Paderborner KAB: "Wenn wir heute nicht unser Leben einsetzen, wie wollen wir dann vor Gott und unserem Volke einmal bestehen."
In dieser Antwort spiegelt sich, dass Groß dem Christentum eine gesellschaftsgestaltende Aufgabe zuschrieb und er es auch in seiner Verantwortung als Laie sah, sich dafür einzusetzen. Das drückte er in seiner Glaubenslehre von 1943 folgendermaßen aus: "... zu oberst steht die Forderung, dass man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen. Wenn von uns etwas verlangt wird, was gegen Gott oder den Glauben geht, dann dürfen wir nicht nur, sondern müssen den Gehorsam ablehnen. Denn allzeit steht Gottes Gebot höher als Menschengebot." Unter den Bedingungen des NS-Unrechtsstaates, 1943 geschrieben, hieß dies, dass "Gottes Gebot", also das "Sittengesetz" oder anders formuliert die universalen, unveräußerlichen und vorstaatlichen Menschenrechte über dem staatlichen Tun stehen. Verletzt der Staat sie, handelt er also gegen Gott bzw. sein Gebot, ist Ungehorsam gegenüber einem solchen Staat Pflicht, wenn man sein unrechtes Tun erkannt hat.
Die Verurteilung vor Augen, sagte er 1945 gegenüber einem Mitgefangenen in Tegel: "Was kann ein Vater seinen Kindern Größeres hinterlassen als das Bewusstsein, dass er sein Leben für die Freiheit und Würde seines Volkes gegeben hat?"
Diese wenigen Zitate zeigen, dass Nikolaus Groß aus seinem katholischen Glauben eine Weltverantwortung des Laien ableitete, die ihn nationale Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen ließ. 2001 würdigte die katholische Kirche diesen Ansatz durch seine Seligsprechung.
Literatur :