Der Kölner Kreis ist ein lange weitgehend unbeachtet gebliebener ziviler Widerstandskreis im Westen Deutschlands. Diese Nichtbeachtung hatte viele Ursachen, u.a.:
Neben der Auseinandersetzung der Hierarchie mit dem NS-Staat darf der Verhalten der Laien nicht vergessen werden.
Gemeint ist hier nicht einfach die weitere aktive Teilnahme am Gemeindeleben vieler Gläubiger, auch wenn sie auf den Unwillen von NS-Vorgesetzten stoßen mochte, und auch nicht das vielfache Mitläufertum. Dargestellt wird statt dessen ein wesentlicher katholischer Beitrag zum politischen Widerstand. Mit dem Kölner Kreis soll das Augenmerk auf ein Netzwerk von Katholiken gelenkt werden, das im Rheinland und in Westfalen beheimatet war und langsam aus einer religiös motivierten Ablehnung des NS zum politischen Widerstand gegen das NS-Regime kam, indem er in Kontakt zu den zivilen Gruppen des aktiven Widerstandes trat. Er baute Verbindungen nicht nur zum Kreisauer Kreis um den Grafen Hellmuth J. v. Moltke auf , sondern auch zum Zentrum des zivilen Widerstandes in Berlin. Dessen Kopf war der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler(DNVP), der seit den späten 30er Jahren konservative Oppositionelle um sich geschart hatte und auch Verbindungen zu Arbeiterführern sämtlicher Couleur wie auch zum militärischen Widerstand aufgenommen hatte. Da die Berliner Widerstandsgruppe aufgrund ihrer soziologischen Zusammensetzung kaum Verbindungen in den Westen Deutschlands hatte, wurde der Kölner Kreis, dem Nikolaus Groß angehörte, so etwas wie dessen westliches Standbein. Er entstand aus ursprünglich rein katholischen Diskussionszirkeln, die sich aus einzelnen Mitgliedern der katholischen Verbände, christlichen Gewerkschaften und der Zentrumspartei zusammensetzten und sich über die kirchenpolitische Lage austauschten. Allmählich entwickelten sich Verbindungen zu anderen oppositionellen Zirkeln in Städten wie Düsseldorf, Bonn, Bochum oder Duisburg. Mit der KAB verfügte der Kreis nämlich über ein organi-satorisches Gerüst, denn die KAB-Ortsverbände bildeten ein Netz von Vertrauenspersonen, da die KAB wohl der katholische Verband mit der größten Resistenz gegenüber dem NS war. Zumindest war der westdeutsche Verband der einzige, dessen gesamte Führung - Präses Dr. Otto Müller, Verbandssekretär Bernhard Letterhaus und Hauptschriftleiter Nikolaus Groß - im 3. Reich ums Leben kam. Der Vorsitzende Joseph Joos entging dem gleichen Schicksal nur, weil er seit 1940 im KZ Dachau inhaftiert war.
Die KAB-Sekretäre hielten neben ihrer häufigen Beteiligung an lokalen Oppositionszirkeln in den Städten soweit wie möglich das Verbandsleben aufrecht. Damit bewahrten sie ein von der NS-Ideologie nicht infiltriertes Personalreservoir, das sie in den 40er Jahren für den politischen Widerstand interessant machte. Einige gerieten wegen ihrer Verbandsarbeit in Konflikt mit der Gestapo, der z.B. für Gottfried Könzgen aus Duisburg tödlich endete, als er im August 1944 nach dem gescheiterten Attentat im Rahmen der "Aktion Gewitter" verhaftet wurde. Im Zug dieser Aktion verbrachte die Gestapo nach einer schwarzen Liste Angehörige früherer oppositioneller Parteien und weitere Personen, die mißliebig aufgefallen waren und als alternative Elite in Frage kamen, ins KZ. Könzgen kam in März 1945 in Mauthausen ums Leben.
Der sich so herausbildende Kölner Kreis knüpfte Verbindungen über das katholische Milieu heraus. Der Düsseldorfer Gruppe gehörten beispielsweise au-ßer dem früheren Kartellsekretär der Christlichen Gewerkschaften und späteren Ministerpräsidenten von NRW, Karl Arnold, auch der ehemalige deutschnationale, protestantische Düsseldorfer Oberbürgermeister (und CDU-Mitgründer) Robert Lehr an. Außerdem stand die Düsseldorfer Gruppe spätestens seit 1935 in Verbin-dung zu General von Hammerstein, einem oppositionellen Militär mit Beziehung zu Generaloberst Ludwig Beck, dem langjährigen Kopf des militärischen Widerstandes und designierten Reichsverweser, d.h. Staatsoberhaupt. Damit knüpfte sie für den Kölner Kreis eine der verschiedenen Beziehungen in die Mitte des aktiven Widerstandes gegen Hitler. Jahre später, 1941, vermittelte v. Hammerstein eine Begeg-nung zwischen Beck und Präses Otto Müller. Über sie berichtete Müller wohl, als er 1943 den Besuch eines "sehr hohen Herrn vom Militär" erwähnte, der sich nach dem Organisationszustand und der NS-Immunität der KAB-Mitglieder erkundigt habe. "Es könnte mal etwas eintreten, daß wir in vie-len Orten Menschen brauchen, auf die wir uns verlassen können, die die Leitung der Gemeinde in ihre Hand nehmen und die richtigen Leute für die Verwaltung sowie für Ruhe und Ordnung aussuchen können. Ich kann also in einem solchen Fall auf Sie und Ihre Organisation zurückgreifen." . Weiter zeichnete sich die Düsseldorfer Gruppe dadurch aus, daß aus ihr die Flugblätter des "Michael Germanicus" hervorgingen, die besonders während der Sittlichkeitsprozesse die Goebbelsche Propaganda entlarvten. Die Gruppe im Kölner Kettelerhaus dagegen hatte mehr Kontakte zu Sozialdemokraten. Direkt an ihr beteiligt war der frühere Oberbürgermeister von Solingen, Joseph Brisch, der als praktizierender Katholik der gleichen Gemeinde wie Groß und Letter-haus angehörte. Er sorgte zu Verbindungen zum früheren preußischen Innenminister Carl Severing und dem freien Gewerkschaftler Wilhelm Leuschner (beide SPD), der wiederum dem Kreis um Goerdeler angehörte.
Sodann hatte das Kettelerhaus viele Verbindungen in den engen kirchlichen Bereich hinein. Zum einen ist hier das Dominikanerkloster Walberberg zu nennen, dessen Provinzial Laurentius Siemer häufig an den Beratungen im Kettelerhaus teilnahm. Nikolaus Groß und der ehemalige christliche Gewerkschaftler Heinrich Körner waren an ihn mit der Bitte herangetreten, der Runde im Kettelerhaus die katholische Soziallehre vorzutragen, damit sie sie ihren Beratungen über die Ausgestaltung eines künftigen Deutschlands zugrunde legen könnten. Solche zukunftsweisenden Diskussionen fanden im Kettelerhaus statt, seit es sich mit anderen Widerstandskreisen vernetzt hatte. Zum anderen ging die 2. innerkirchliche Verbindung nach Fulda, wo Bischof Dietz seit 1936 im Auftrag der Fuldaer Bischofskonferenz die Männerseelsorge reichsweit koordinierte. An den jährlichen Treffen war Nikolaus Groß für die KAB beteiligt. Hier lernte er 1941 den Jesuitenpater Alfred Delp kennen, der ein Referat hielt, in dem er auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung von Christentum und Kirche hinwies. Am Rande der Fuldaer Treffen fanden weitergehende Gespräche statt, in deren Rahmen Delp Nikolaus Groß und Otto Müller über den Kreisauer Kreis, dem er angehörte, unterrichtete. So entwickelte sich ein Austausch zwischen den Kölnern und den Kreisauern, der durch gegenseitige Besuche intensiviert wurde.
Die wichtigere Beziehung des Kölner Kreises ging jedoch nach Berlin, zur Goerdeler-Gruppe. Sie lief über Bernhard Letterhaus, der sich, als er 1942 als Hauptmann ins OKW zur Abwehr nach Berlin versetzt wurde, der Ge-werk-schaftsgruppe um Goerdeler angeschlossen hatte. Ihr gehörten Vertreter der drei ehemaligen Richtungsgewerkschaften - der freien, der christlichen und des deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes - an. Für den letzten stand Max Habermann, für die freien Wilhelm Leuschner, und für die christlichen Gewerkschaften der spätere Minister für gesamtdeutsche Aufgaben unter Adenauer, Jakob Kaiser, der sowieso den Kölner Kreis kannte. Kaiser war Sekretär der Leitung der Christlichen Gewerkschaften gewesen und kannte die Füh-rungsriege der KAB noch aus Weimarer Zeiten. Im Berliner Widerstand wid-mete er sich der Aufgabe, ein Netz christlich-sozialer Personen aus Christlichen Gewerkschaften und KAB aufzubauen, die in der Lage wären, nach erfolgtem Putsch Verwal-tungsfunktionen zu übernehmen. Er zählte wie Letter-haus zum engeren Kölner Kreis wie auch unter anderem Wilhelm Elfes, früherer WAZ-Chefredakteur und Krefelder Polizeipräsident, Andreas Hermes, ehemaliger Reichslandwirtschaftsminister des Zentrums, Johannes Albers, Johannes Gronowski, Christine Teusch, Heinrich Körner und die Dominikaner Siemer und Eberhard Welty. Kaiser wie Letterhaus waren wichtige Bindeglieder für den Kölner Kreis an das Zentrum des aktiven Widerstandes in Berlin. Sie sorgten dafür, daß der Kölner Kreis sowohl in die inhaltlichen Überlegungen als auch die Perso-nalplanungen der Berliner einbezogen waren. Sie stärkten den sozialpolitischen Flügel des Widerstandes. Als einer seiner Exponenten war Letterhaus auf einer der letzten von Goerdelers Kabinettslisten als Wiederaufbauminister vorgesehen.
Im Herbst 1943 kam Goerdeler ins Kettelerhaus, um über die personelle Besetzung von Schlüsselpositionen nach dem Sturz Hitlers zu beraten. Danach reiste Groß nach Saarbrücken, um den ehemaligen Regierungskommissar im Saarland, Bartholomäus Koßmann (Zentrum), als Politischen Beauftragten zu gewinnen. Diesen war die wichtige Aufgabe zugedacht, erst als politische Berater der Generalkommandeure, dann als Oberpräsidenten zu fungieren.
Dem Kölner Kreis kam somit im Widerstand gegen Hitler die wichtige Rolle zu, ihm gerade im Westen Deutschlands, wo die traditionellen preußischen Eliten als Hauptträger des aktiven, polititisch-militärischen Widerstandes kaum vertreten waren, ein personelles Standbein zu verschaffen. Die Beziehung half, die alten sozialen, konfessionellen und weltanschaulichen Barrieren zwischen rheinisch-westfälischem Katholizismus und preußisch-protestantischem, liberalkonservativem Bürgertum einerseits und sozialdemokratischer Arbeiterschaft andererseits zu durchbrechen, die die Konsensbildung in der Weimarer Republik so erschwert hatten. Auch stärkte der Kölner Kreis im aktiven Widerstand den Flügel, der sozialen und demokratischen Ideen eher aufgeschlossen gegenüberstand.
Der Kölner Kreis hat sich ähnlich wie die Kreisauer und Berliner Gedanken über den künftigen Staatsaufbau Deutschlands gemacht. Er befindet sich für die heutige Rezeption allerdings in einem fundamentalen Nachteil im Vergleich zu den beiden anderen, denn seine Ausarbeitungen, die von Nikolaus Groß und Elfes zusammengefaßt wurden, mit den Titeln "Ist Deutschland verloren?" und "Die großen Aufgaben" existieren nicht mehr. So bleiben nur Texte von einzelnen Mitgliedern wie Wilhelm Elfes und Eberhard Welty, die aber nicht unbedingt mit den Ansichten des gesamten Kölner Kreises identisch sind. Dennoch lassen sich Grundlinien der Kölner Vorstellungen rekonstruieren. An ihnen fällt, gerade im Vergleich mit Kreisau und Berlin, auf, daß der Kölner Kreis eine wie auch immer geartete Demokratie als selbstverständlich voraussetzte. Elfes kommentierte die Pläne Goerdelers in einem Brief an Otto Müller vom März 1943:"(...)die Wahl einer parlamentarischen Volksvertretung muß alsbald in die Wege geleitet und nach demokratischen Grundsätzen durchgeführt werden, damit eine wirkliche Volksregierung gebildet werden kann." Parteien und ihre dominierende Rolle für die Regierungsbildung waren den Kölnern selbstverständlich. Daher machten sie sich hauptsächlich Gedanken über Gestalt und Programmatik einer ihre Interessen vertretenden Partei statt über die Institutionen des Staatsaufbaus. Zwei Parteimodelle konkurrierten miteinander: eine Partei der Arbeit nach dem Vorbild der englischen Labour-Party, in der der Gegensatz zwischen christlichen und sozialistischen Arbeitern überbrückt werden sollte, und eine christliche, interkonfessionelle Volkspartei, wie sie 1945 in etwa in der CDU Wirklichkeit wurde. Einig war man sich, das Zen-trum nicht wieder-zubeleben.
Der Schwerpunkt der Kölner Beratungen lag jedoch auf sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen, wie es auch der Ausrichtung der katholischen Soziallehre entsprach, die sich traditionell kaum mit Fragen der Staatsverfassung beschäftigte. Zwischen den Vorstellungen der beiden Protagonisten Wilhelm Elfes und Eberhard Welty lagen Unterschiede, die freilich zum guten Teil aus dem Faktum resultierten, daß Welty Theoretiker und Elfes politischer Praktiker war. Beide wollten eine arbeiterfreundlichere Gesellschaft auf der Basis der Vorschläge der katholischen Soziallehre schaffen.
Elfes forderte, daß die menschliche Arbeitsleistung Vorrang vor den Kapitalinteressen haben solle. Dafür sei es notwendig, eine Einheitsgewerkschaft zu gründen und den Arbeitern maßgebenden Einfluß auf die Wirtschaft zu sichern. Er schlug ein weitreichendes Sozialisierungsprogramm vor, zu dem die Aufteilung des Großgrundbesitzes in lebensfähige Bauernhöfe, staatliche Kontrolle der Großbanken, Zerlegung der aus verschiedenartigen Betrieben gebildeten "kapitalistischen Großunternehmungen" in ihre Teile oder ihre Überführung in Genossenschaften sowie eine Höchstgrenze für Aktienbesitz zählten. Dabei setzte Elfes auf die Marktwirtschaft, da er nach Kriegsende optimistisch mit einem wirtschaftlichen Aufschwung rechnete. An ihm sollte die Arbeiterschaft materiell durch Eigentumsbildung partizipieren.
Welty dagegen strebte eine statische Bedarfsdeckungswirtschaft an, da er es für notwendig hielt, für lange Zeit den Mangel zu verwalten. Auch entsprach sie stärker dem traditionellen katholischen Mißtrauen gegen die liberal-kapitalistische Wirtschaft und ließ sich besser mit der alten Vorliebe für berufsständische Lösungen vereinbaren. Berufsstände und Genossenschaften sollten für die gelenkte Wirtschaft verantwortlich sein. Sein Modell ähnelte damit dem der Kreisauer, die ebenfalls auf diesem Wege den Einfluss der Arbeiter stärken wollten. Elfes' Vorstellungen dagegen gingen stärker mit denen der Berliner konform. Vermutlich neigten die KAB-Vertreter im Kölner Kreis eher den Ideen von Elfes zu, denn Otto Müller unterstützte Jakob Kaisers Aktivitäten - als wichtiges Mitglied der Goerdeler-Gruppe - finanziell.
Der Kölner Kreis spielte somit als Personalreservoir im Westen mit seinen Ideen und Personen eine wichtige Rolle im Widerstand gegen Hitler. Er hatte weitreichende Beziehungen zu den bekanntesten Widerstandskreisen von Kreisau und Berlin. Daher kann es auch nicht verwundern, daß seine führenden Köpfe - Let-terhaus, Groß und Müller - mit in den Strudel der NS-Rachejustiz nach dem mißglückten Attentat von Stauffenbergs gerissen wurden. Groß und Letterhaus wurden vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet, Otto Müller starb in der Haft. Am Prozeß von Groß wurden dabei weiter-reichende, kirchen-feindliche Absichten der NS-Macht-haber sichtbar. Obwohl er wegen Beteiligung an der Verschwörung Goerdelers verurteilt wurde, stand er mit Kreisauern vor Gericht. Seine Beziehung zu Kreisau, die über Delp bestanden hatte, kamen aber im Prozeß überhaupt nicht zur Sprache. Der Hintergrund war, daß die Nationalsozialisten einen Kirchenprozeß planten mit Delp und Otto Müller, in dem seine Mittlerrolle zwischen den Kreisen eine wichtige Rolle hätte spielen können. Das Vorhaben scheiterte freilich an Müllers vorzeitigem Tod. Inhaltlich liegt die Bedeutung des Kölner Kreises in seinem demokratischen Pragmatismus, der bei den überlebenden Mitgliedern nach dem Zusammenbruch zum Tragen kam. Viele von ihnen beteiligten sich an der Gründung der Einheitsgewerkschaft und der Christlich-Demokratischen Union. Hierfür stehen u.a. die Namen Jakob Kaiser, Andreas Hermes, Johannes Albers, Karl Arnold.
Die allgemeinen Grundsätze der christlichen Weltverantwortung, die den christlich motivierten politischen Widerstand getragen hatten, wirkten als Erbe nach 1945 in der naturrechtlichen Herleitung der Grundrechte und der allmählichen Anerkennung der Menschenrechte fort, die somit als gottgegeben begriffen wurden. Diese Sicht des deutschen Katholizismus schlug sich in der Präambel des Grundgesetzes mit seinem Bezug auf Gott und dem Artikel I nieder.
Die Überzeugung des katholisch-politischen Widerstandes, zur christlichen Weltverantwortung verpflichtet zu sein, gewann nach der Katastrophe Hitler-Deutschlands an Boden. Ein Forum der Diskussion darum war die Frage nach Mitschuld und Haltung der katholischen Kirche zum 3. Reich. Auf dem Hintergrund der vollständigen Niederlage, von Zerstörung und Besat-zung und der alliierten Kollektivschuldanklage aller Deutschen wurde darum leidenschaftlich im deutschen Katholizismus gerungen. Dabei standen sich idealtypisch zwei Anschauungen gegenüber, die teilweise mit einem verschiedenen Schuldver-ständ-nis operierten.
Die eine verstand Schuld eher religiös im Sinne von (Erb-)Sünde, betonte die gesellschaftliche Verantwortung der Christen und war überzeugt, daß eine auch religiöse Umkehr und Buße für eine bessere Zukunft Deutschlands nötig sei. So begriff sie die politische Geschichte als Teil der göttlichen Heilsgeschichte. Die andere verstand Schuld eher im strafrechtlich-moralischen Sinn als aktives Verschulden, nicht als passives Nicht-Verhindern. Sie sah es als eine ihrer Aufgaben an, die Deutschen auch moralisch vor Pauschalverurteilungen und befürchteten negativen Folgen zu schützen. Diese wurden aus der alliierten Kollektivschuldanklage, der Angst vor bürgerlicher Existenzvernichtung durch die Entnazifizierung und die Industriedemontagen hergeleitet. Die strafrechtlich-moralische Argumentation dachte daher stärker von dem politisch Wün-schenswerten her und sah die spezifisch kirchliche Aufgabe stärker auf die Seelsorge beschränkt. In der Beschäftigung mit solchen Fragen setzte sich der Katholizismus mit seinem eigenen Verhalten im 3. Reich auseinander und ermöglichte seinen überle-benden Vertretern des Widerstandes, in die Zukunft hineinzuwirken.